Er: „Wie, du willst zum Gardasee? Das ist doch was für …?“ Ich: „Hm, guck mal hier.“ Nie, aber auch wirklich nie in den 18 Jahren, die ich meinen Mann schon kenne, hat er seine Meinung so schnell revidiert. Denn exakt in dem Moment, in dem wir die Prospekte mit den Sport-Aktivitäten in den Händen halten, passiert Folgendes: Augäpfelweitung auf Untertellergröße. Schnell wird klar: Erstens: drei Tage sind offenbar zu kurz. Definitiv zu wenig Zeit für all das, was man am Gardasee an sportlichen Dingen machen kann. Trekking, Klettern oder Mountainbike. Segeln, Surfen, Wasserski und Wakeboard. Oder auch High-Speed Cat-Sailing, wo du mit 30 Knoten über den See fliegst. Aber das macht man besser, wenn man mal ohne Kids da ist …
Zweitens: Um Alter geht es hier überhaupt nicht. Nix mit Seniorentreff wie vermutet. Du siehst hier am Fuße der Brenda-Dolomiten so wahnsinnig viele unterschiedliche Altersgruppen, dass man sich einfach nur ein bisschen schämt, dieses Gebiet vorher gar nicht auf dem Radar gehabt zu haben.
Rentner? Vergiss es!
Wir fahren also nach Riva del Garda in den Norden des Sees. Das ist die Hauptstadt des Urlaubsgebietes Garda Trentino in Norditalien, einem Verbund von sechs Gemeinden.
Drittens: Hier sein bedeutetet mit Sportlust angesteckt werden. Bums, fertig, aus. Ist so. Du bist schon peinlich berührt, wenn du morgens auf dem Balkon in normalen Klamotten stehst und Croissants futterst. Denn VOR deinem Hotel- oder Ferienwohnungs-Fenster gehen schon frühmorgens die Leute in Sportoutfit vorbei, als sei es das normalste von der Welt. Oder sie fahren mit dem Mountainbike. Von Läufern am See ganz zu schweigen. Wahnsinn.
Okay: Mutter, Vater, Kind, ziehen auch los.
Ich gehe in die Berge, mache eine zwei- bis dreistündige Wanderung, den Busatte-Tempesta Weg und schaue mir die hiesige Mittelmeerklima-Fauna an. Mein Guide ist eigentlich eine Geschichte für sich: Ein ehemaliger Wissenschaftler, der allein forschte, hat hingeschmissen und ist Landwirt geworden. Nun bewirtschaftet er allein (!) ein Stück Land, hat ein paar Kühe – und baut so ein gutes Olivenöl an, dass das einzige 5-Sterne-Hotel der Stadt sein Öl exklusiv vertreibt. WAS für ein Macher! Respekt.
Die Führung hat die allerschönsten Aussichten auf den Gardasee parat. Ich bin total glücklich, denn ich genieße meine kleine Auszeit mit der Blumenkunde-Stunde bei dem Wissenschaftler A.D.; klar, ich vergesse sämtliche italienische und lateinische Namen, die er versucht, mir beizubringen so schnell, als wäre ICH hier der Rentner. Blumenalzheimer kann ich aber gut verschmerzen.
Wie ich im Nachhinein erfahre, genießen Vater und Tochter ihre Auszeit von einer potentiell ängstlichen Mama ebenso sehr: Denn die Siebenjährige startet von Torbole aus, um jetzt in die Mountainbike-Schule zu gehen. Und zwar nicht in irgendeine, sondern in den Bergen (gut, dass ICH nicht da war!). Lernen mit einem supercoolen Rad UND einem noch supercooleren Lehrer. Der sagt genau, was zu tun ist.
Denn Fahrradfahren ist nicht gleich Fahrrad fahren.
Neu fürs Kind: Wenn du Kurven fahren willst, guck immer genau da hin, wo du hin willst. Meine Tochter hat natürlich vorher immer genau das Hindernis fixiert, logo! Oder der „M-Check“ – Mama, das macht man, bevor man mit einem MTB losfährt! Links unten am Vorderrrad checken, ob die Schrauben fest sind, dann oben zum Lenker, Bremsen okay, Lenker okay, dann wieder unten zu den Pedalen, jawoll, wieder nach oben: Sattel in Ordnung? Zum Schluss das Hinterrad. Ah, okay, in Ordnung!
Richtig Slalom fahren (immer wenn du in Kurve gehst, muss die Pedale oben sein) wird auch dann noch geübt, nachdem der „Unterricht“ längst vorbei ist und das Rad wieder in der Ausleihstation abgegeben werden muss. Das bringt mich auf eine Idee. Wenn das Kind groß genug ist könnten wir zusammen richtige Touren mit dem Fahrrad am See machen. Eva vom Reiseblog Hidden Gem war zum Beispiel mit einem E-Bike am Gardasee unterwegs.
Bis zur letzten Sekunde bleibt sie im Sportsattel.
Ist schon was Anderes, wenn man hier cruisen kann, wie es Spaß macht und nicht wie in der Großstadt, wo man immer nur vorsichtig sein muss. Hier gibt’s geführte Mountainbike-Touren, auf denen man alle gelernten Tricks im Gelände anwenden kann. Super! Überhaupt sind wir drei an unserem gesamten Wochenende nur noch mit den Rädern unterwegs. Die hiesige Sportlichkeit färbt total ab. Den Weg säumen immer wieder gemütliche Café-Lounges, Eisdielen oder Blumen, die das Kind noch nie im Leben gesehen hat. Ein Träumchen.
Da wartet schon das nächste Kinder-Highlight.
Der wunderhübsch im Wald gelegene Busatte Adventure Park. Mini-Kletterfreak nimmt alle Touren mit. Leider ist Mini-Me für die schwarze Route schlicht noch zu kurz. Dafür gibt es auf jeder Tour immer ganz Genießer-Dinge: lange Tarzan-Fahrten am Seil, supertoll.
Übrigens gibt es in den Berghängen am nördlichen Gardasee Kletterrouten für jedes Level. Wirklich: Der Kletterpark in Baone ist der erste Klettergarten der Welt für Paraclimbing. Diese Wand wurde bei der ersten paraloympischen Kletterweltmeisterschaft getestet. Rund um den Gardasee findest du mehr als 1.000 Sportkletterrouten an 12 Felswänden! Perfekte Aussichten also auch hier.
Aktivurlaub am Gardasee mit Kindern. Und jetzt: ins Wasser.
Oha, wir müssen uns entscheiden, was wir nun zuerst machen wollen. Ich will als erstes eine Ausweitung des Tages um einige Stunden, damit wir Zeit haben, alles zu machen. Kajak? Stand-up-Paddling? Eigentlich fänden wir Windsurfen auch ganz witzig. Am besten mal etwas, das wir drei zusammen machen können.
Es wird deswegen zuerst Kajak, ein Einer und ein Zweier. Wettrennen. Oh Mann, wie heftig für die Arme. Ich schmiere richtig ab. Aber egal, ich schiebe es auf die pittoreske Aussicht und tue so, als wollte ich gar nicht auf Höhe der Anderen sein.
Ich will Fotos, Fotos und nochmal Fotos.
Auch beim Stand-up-Paddling mit Kind drehen Mann und Tochter voll auf. „Pff, Model-Sport.“ sagt der Mann, „Will-ich-jetzt-nur-noch-mit-Papi-machen“, sagt das Kind. Ich fotografiere alles, den für mich zum Model mutierten Gatten, den See, das Bergpanorama und freue mich über dieses Knüllerwetter. Wer hätte das gedacht: Wir machen Aktivurlaub am Gardasee mit Kindern. Was für eine schöne Zeit. Warum, bitte, sind wir nicht öfter hier?
Der Wind hier weht präzise. Ich lerne, nein: ich staune. Es gibt viele verschiedene, ich merke mir nur zwei. Den Vento, einen frischen Nordwind und die Ora, den warmen Südwind. Ora merken wir uns alle. Denn ihre Zeit beginnt Mittags und pustet bis Sonnenuntergang. Deswegen ist jetzt und hier, am nördlichen Ende des Gardasees, auch die perfekte Zone für Windsurfer. Herrlich. Es tummeln sich so tolle Leute hier und lernen Windsurfen. Hätte gerne ein besseres Objektiv für Nahaufnahmen der sehr jungen und sehr alten Schüler. Ich komme wieder, ich schwöre.
Einstimmiges Fazit: Der Norden des Gardasees ist ein spitzenmäßiges Sportzentrum. Denn alle um dich herum strahlen dasselbe aus: Genuss. Es ist eigentlich schnurz, wie fit man genau ist. Und egal, wie alt man ist: Am Seeufer treffen wir beispielsweise eine Morgengymnastikgruppe von lustigen alten Damen.
Gym to go.
Und als ob es das normalste der Welt wäre, schließen sich der zu Beatles-Beats hüpfenden Damen einfach irgendwelche Spaziergänger an und machen spontan mit. Ob das normal hier wäre? Ja, völlig, finden diese verrückten Leute. We love you, Gardasportparadiessee.
Du bist im Italienfieber?
Kein Problem, noch mehr Reisetipps für Italien findest du hier:
- „Come to Calabria“ oder wie man ein ganzes Dorf rettet.
- Kleine Zeitreise durch Sanremo
- Salento, Land zwischen den Meeren.
- Turin sehen und schlemmen
- Der Comer See in Italien. Einfach zu gut.
Danke an Valentina Bellotti vom Garda Trentino Fremdenverkehrsbüro Ingarda Trentino Azienda per il turismo S.p.A. http://www.gardatrentino.it/de/gardasee/. Ohne sie hätten wir uns bei den 1.001 genialen Möglichkeiten für unseren Aktivurlaub am Gardasee mit Kindern wohl völlig verfranst!
Text und Fotos: Sabine Neddermeyer