„Die Garonne? Die paddelt niemand runter.“ Bastien, Rafting-Guide aus den Pyrenäen, schaut mich an, als hätte ich vor, in Flipflops auf den Mont Blanc zu steigen. Dann nimmt er mein Geld, überreicht uns wortlos ein wuchtiges, grünes Kanu – und zieht von dannen. Kein Segen, kein Zweifel – nur ein Achselzucken.
Von den Pyrenäen bis Bordeaux auf der Garonne
So beginnt meine Reise. 500 Kilometer Wasser, von den Pyrenäen bis zur Atlantikküste. Neben mir sitzt Christian, seit zwanzig Jahren mein bester Freund und erklärter Nicht-Paddler. Doch diesmal hat er unvorsichtigerweise zugesagt, mich auf einer meiner wilden Touren zu begleiten. Jetzt hieven wir unsere Seesäcke in das Monstrum, das wir nach wenigen Minuten Arnold taufen – ist es doch robust, schwer und bereit, uns alles abzuverlangen.
Kaum liegen wir auf dem Wasser, reißt uns die Garonne talwärts. Kein gemächliches Dahingleiten – der Fluss ist ein Wildbach mit Eigensinn, spuckt uns Steine vor die Füße, schüttelt uns durch, drückt uns
gegen Felsen. Mehrmals krachen wir auf oder schrammen an Felsnasen entlang. Und doch lachen wir, grölen gegen die Gischt. So gefällt uns das! Die Garonne wirft uns Wellen entgegen wie ein übermütiger Hund – und nimmt uns mit, talwärts.

Schon am ersten Nachmittag rasen wir durch die Stromschnellen von Montréjeau. Christian, eben noch nervös, schlägt nun vor, „einfach mitten durch die Hauptströmung“ zu paddeln, und ich frage mich, wo der „Paddelneuling“ hin ist.
Der Fluss wirkt – auf seine Weise.
Die Garonne entspringt in den spanischen Pyrenäen, fließt über 500 Kilometer durch Frankreich, versorgt zwei Millionen Menschen mit Trinkwasser, mündet be Bordeaux in die Gironde – und bleibt dabei erstaunlich ungezähmt. Keine Uferbefestigungen, keine Kanalisation. Was uns das Paddeln schwer macht, sind nicht Wind und Wellen, nicht Seegang und Strömung, sondern die Hindernisse aus Menschenhand: Staustufen, Schleusen, Wehre.

Ein besonders fieses Wehr zwingt uns, Arnold über einen Kilometer lang zu tragen – querfeldein, ohne Pfad, ohne Rampe. Nur dank eines zurechtgesägten Skateboards, das uns Yannick – unser Gastgeber der vorherigen Nacht – in die Hand gedrückt hat, gelingt der Kraftakt. Er kostet uns beinahe zwei Stunden. Danach ist klar: Arnold ist zu schwer und unhandlich.
Beim nächsten Wehr nehmen wir die riskante Option: einfach mittendurch. Ein Fehler. Eine seitliche Strömung packt uns wie ein nasser Handtuchschlag und schiebt uns gegen einen Felsen, den wir unter der Wasseroberfläche kaum ausmachen konnten. Wir kentern wie in Zeitlupe. Wasser überall. Ich werde unter die Oberfläche gerissen, verliere die Baseballkappe, pralle mit der Hüfte auf einen Stein. Die Seesäcke bleiben immerhin festgezurrt. Pascale, unsere Gastgeberin, findet uns nach zwei Stunden Suche irgendwo zwischen Apfelbäumen und Gestrüpp.
Am Abend geben wir auf – oder besser: wir tauschen das Boot.
Am nächsten Morgen stehen wir bei Decathlon. „Wir kaufen ein neues Kanu“, sage ich. Christian nickt halb amüsiert, halb resigniert. Das neue Gefährt ist aufblasbar, wendig, leicht – „Arnaud“ ist geboren. Arnold bleibt zurück, als Fotomotiv für Hochzeitsgäste im Schlossgarten von Saint-Martory.
Kurz hinter Toulouse trennen sich unsere Wege. Christian fährt zurück nach Deutschland, ich paddle weiter – allein.

Keine Boote weit und breit. Nur Milane über mir, Nutrias am Ufer, gelegentlich ein springender Fisch. Menschen? Drei Angler auf 500 Kilometern. Doch das Wasser ist nicht das Problem. Ich komme in einen Rhythmus, fast tranceartig. Instinktiv lenke ich Arnaud um Hindernisse, bevor ich sie sehe. Mein Körper hat den Fluss verstanden.

Die eigentlichen Herausforderungen warten an Land: Brennnesseln, Dornen, hitzeflirrende Böschungen. Die absurdeste Disziplin? Das Ziehen eines Kanus durchs Unterholz. Arnaud wird zur unbeholfenen Robbe, und ich zum schwitzenden Packesel. Die Unterkünfte liegen meist kilometerweit vom Ufer entfernt – und sind oft geschlossen. Französischer Service hat eng begrenzte Öffnungszeiten. Die Nächte verbringe ich dafür zumeist in alten Herrenhäusern, umgeben von Parkanlagen, gepflegt von pensionierten Städtern, die sich über den paddelnden Deutschen freuen. Ein surrealer Kontrast: Ich – stark nach Garonne duftend, sonnenverbrannt, erschöpft – in einem Salon mit Brokatsofas und Jacuzzi.
Ich paddle in Badehose, fülle meine Baseballkappe regelmäßig mit Wasser, esse, trinke und creme mich im Kanu ein. Mein ganzer Tag spielt sich auf dem Wasser ab. Kurz vor Bordeaux übernimmt der Atlantik die Regie: Zweimal täglich kehrt sich die Fließrichtung um – der Fluss schiebt sich zurück. Ich muss mich auf die Gezeiten abstimmen, sonst werde ich rückwärts getragen, flussaufwärts.
Am vorletzten Tag strandet Arnaud bei Frédérique – eine Gastgeberin wie aus einem Roman. Sie fährt mich nach Bordeaux, hilft beim Ausstieg, lädt mich zum Grillen ein. Wieder zeigt sich: Ohne die Menschen entlang der Strecke hätte ich diese Reise nicht geschafft.

Dann, am letzten Tag: Die erste Brücke von Bordeaux kommt in Sicht. Ich paddle wie besessen. Noch ist Flut, bald aber kommt die mascaret – eine Gezeitenwelle, die flussaufwärts schießt. Ich muss vorher ankommen. Die letzten Meter sind zäh, das Ziel rückt kaum näher. Doch ich bleibe stur, ziehe das Paddel durch, schneide im Zickzack durch das aufgewühlte Wasser – und erreiche kurz vor der Welle die Pontonbrücke der Wasserwacht.

In zwei Wochen bin ich von den Pyrenäen bis Bordeaux gepaddelt – über 500 Kilometer, durch Stromschnellen, gegen Strömungen, über Wehre und unter Brücken. Ich habe gekämpft, geflucht, gestaunt und gelacht. Und ich weiß jetzt: Die Garonne ist vielleicht launisch, wild und widerspenstig. Aber: Ja. Man kann sie befahren.

Info-Box Garonne
- Anreise: von Paris per Nachtzug nach Toulouse, anschließend mit dem Vortortzug TER nach Montréjeau, dann mit dem Bus Richtung Luchon.
- Beste Reisezeit: Mai/Juni, wenn die Schneeschmelze vorbei ist und die Garonne
vergleichsweise viel Wasser führt, oder September/Oktober, wenn sich die Vegetation verfärbt und spektakuläre Sonnenuntergänge zu erwarten sind. - Zu beachten: Schwierigkeiten bereiten insbesondere die fehlende Infrastruktur, die Abwesenheit von Umtragemöglichkeiten bei Wehren und Staustufen und die Tatsache, dass sich die meisten Unterkünfte und Restaurants nicht in unmittelbarer Nähe der Garonne befinden.
- Es gibt vergleichsweise wenig Ausstiegsmöglichkeiten und oftmals
kilometerweit nur dornenreiches Gestrüpp. - An Flachwasserstellen muss man das Kanu tragen.
- Warum das Ganze: Man erlebt eine große Verbundenheit mit der Natur mitten in
Europa und sieht dem Fluss beim Größerwerden zu. Einsame Momente werden dabei immer wieder unterbrochen von echter Gastfreundschaft, gutem Essen und allen Vorzügen Südfrankreichs. - Unterwegs erlebt man die schillernden Metropolen Toulouse und Bordeaux sowie reizvolle Kleinstädte wie Agen und Muret vom Wasser aus.
- Weitere Informationen: Abenteurer Thomas Bauer hat 14 Bücher über seinen Touren veröffentlicht. Im September 2025 erscheint „Abenteuer Europa“ im MANA-Verlag, Berlin.
Text und Fotos Thomas Bauer