Wir leben nur einmal. Oder: Die 30.000 Seemeilen Auszeit.

Schon klar, die machen fünf Jahre Auszeit auf dem Segelboot. Wenn man alles erwartet hätte, aber nicht das: Ein Traumpaar mit Vorzeigekarrieren lässt auf einmal alles stehen und liegen. Scheißt auf mühsam aufgebaute Karrieren und Doktortitel, auf die schicke Wohnung und alle anderen Statussymbole. Verkauft alles, um mit einer knapp 15 Meter langen und 4 Meter 50 breiten Segelyacht namens Trinity loszuziehen auf die Meere dieser Welt. Was andere als Lebensziel haben, war bis dahin längst Alltag für beide: Kerstin leitete als Brand Consultant erfolgreich Abteilungen in Werbe- und Designagenturen, ihr Mann Robert hatte mit zwei Partnern 1998 eine hippe Berliner Werbeagentur gegründet, mit Kunden wie MTV, Nike oder Heineken aufgebaut und zu einem Namen gemacht. Schon ab 1999 ist Aimaq, Rapp, Stolle unter den Top 10 der kreativsten Agenturen Deutschlands.

Doch 2011 liest man plötzlich nicht Nachrichten von einem neu gewonnenen Etat, sondern von einer Auszeit. Und noch besser: auf einer eigenen Segelyacht. Hallo, wie cool ist das denn? Erst 30.000 Seemeilen, über 20 Länder und fünf Jahre später kehren Frau Doktor Foell und Herr Stolle nach Europa zurück. Ich habe so viele Fragen zu der größten Reise ihres Lebens und ihrem Ausstieg auf Zeit, die mich bewegen.

Besonders, wenn ein Jahr zur Neige geht, ich Bilanz ziehe, mir neue gute Vorsätze nehme, muss ich an die beiden denken. Und an George Clinton. Free your mind, and your ass will follow. Hach.

So viele träumen davon, mit einer Segelyacht die Welt zu bereisen, einfach mal auszusteigen. Was gab euch den Anstoß, es einfach wahr zu machen?

Kerstin: Wir leben nur einmal. Und wir leben JETZT. Wenn du deine Träume immer in die Zukunft verschiebst, kann es sein, dass du sie nie verwirklichen wirst. Viele warten mit einer solchen Reise bis zur Rente. Und wenn es dann soweit ist, sind sie vielleicht gar nicht mehr in der Lage, sie anzutreten und durchzustehen. Solche Stories haben wir sehr oft gehört. Deshalb war unser Motto: Now or never!

Robert: Ich stand an einem Wendepunkt in meinem Berufsleben. Ich wollte das, was ich über viele Jahre mit sehr viel Herzblut gemacht habe, nicht weiter machen. Ich wollte zurück ins wahre Leben. Und mehr Zeit mit Kerstin verbringen. Weniger Zeit in Fliegern, am Schreibtisch und in Konferenzräumen. Also – Now or never!

Auszeit auf dem Segelboot

Wie lange hat es dann noch gedauert, eure Idee real zu machen und endlich losfahren zu können?

Kerstin: Das ging alles ziemlich schnell. Von der Idee bis zum Schiffskauf vergingen nur einige Monate, in denen wir intensiv nach dem richtigen Boot gefahndet haben. Dann haben wir unsere Wohnung aufgelöst, das Auto verkauft und sind im März 2012 auf’s Schiff gezogen. Zwölf arbeitsreiche Wochen später stachen wir dann in See.

Robert: Die meisten Blauwassersegler bereiten sich mehrere Jahre auf eine solche Reise vor. Das war für uns jedoch keine Option. Wir wollten los! Die Welt erkunden. Das Abenteuer beginnen. Und da wir bereits viele Jahre davon geträumt hatten, wollten wir keine Zeit mehr verschwenden.

Auszeit auf dem Segelboot

Ihr wart fünf Jahre unterwegs. War das auch der Plan? Oder, anders gefragt: Kann man so etwas überhaupt planen?
Und wart ihr euch da immer einig?

Kerstin: Geplant waren ursprünglich zwei bis drei Jahre. Aber wir merkten schnell, das wir uns mehr Zeit nehmen wollten. Nicht durch die Welt rasen und alles nur im Zeitraffer erleben. Sondern Land und Leute kennenlernen. Am Ende waren es über 20 Länder und mehr als 30.000 Seemeilen. Und wir haben viele tolle Menschen getroffen, die wir vor allem dadurch ins Herz schließen konnten, dass wir viel Zeit mit ihnen verbracht haben.

Auszeit auf dem Segelboot

Und dass man mit einem Segelboot nicht alles durchplanen kann, war eine der Lektionen, die wir mühsam lernen mussten. Du entscheidest nicht allein. Wind, Wetter und viel anfällige Technik an Bord funkten uns immer wieder dazwischen. Wir wollten z.B. Weihnachten 2015 in Kolumbien mit Freunden verbringen, waren zu diesem Zeitpunkt aber tausende von Kilometern entfernt an der Ostküste der USA mit unvorhergesehenen Reparaturen beschäftigt. Also leider nix mit Kolumbien.

Robert: Glücklicherweise hatten wir immer das gleiche Bauchgefühl hinsichtlich unserer Reise und der vielen verschiedenen Zwischenstationen. Und schließlich auch hinsichtlich des Zeitpunktes, die Reise zu beenden und etwas Neues zu starten.

Als ehemalige Schreibtischtäter hattet ihr ja vorher nicht allzu viel Erfahrung, was tage- und wochenlanges Navigieren anbelangt. Wie habt ihr euch vorbereitet auf die Tage und Nächte auf hoher See?

Robert: So richtig vorbereiten kannst du dich darauf nicht. Wir besitzen die zur Schiffsführung nötigen Scheine und bei der Vorbereitung darauf haben wir sehr viel gelernt. Und du tastest dich an die Tage und Nächte auf See heran. Erst mit Ganztagestörns, dann mit der ersten Nachtfahrt, der ersten Drei-Tages-Nonstop-Tour und so weiter. Aber wenn du dann zum ersten Mal mehrere Wochen am Stück auf See bist, Stürme durchsegelst und unerwartete Probleme mit der Technik lösen musst, ist das meist ganz anders, als du dir vorher vorgestellt hast.

Auszeit auf dem Segelboot

Kerstin: Noch eine Sache, die unter Seglerpaaren durchaus nicht selbstverständlich ist: Von Anfang an war unser Motto, dass wir beide Schiff, Navigation, Manöver etc. komplett beherrschen müssen. Das gibt ein sehr sicheres Gefühl. Wir wissen, dass wir uns hundertprozentig aufeinander verlassen können, wenn einer Nachtwache hat und der andere unter Deck schläft.

Ich könnte mir vorstellen, dass es wunderschön sein kann auf dem Ozean – aber man genauso gut vielleicht auch mal Todesangst leiden kann, wenn man nur zu zweit auf sich gestellt ist. Wahrscheinlich kommen einige Sachen auf einen zu, mit denen man never ever gerechnet hätte. Was war der schönste und was der schrecklichste Moment des Leben an Bord?

Kerstin: Einer der schrecklichsten Momente war, als bei unserer ersten, sehr stürmischen Atlantiküberquerung Ende 2012 nach fünf Tagen auf See der Generator in Flammen aufging. Dann hat sich auch noch die Lichtmaschine verabschiedet. Somit konnten wir unsere Batterien nicht mehr laden. Wir wussten, jetzt haben wir ein „Black Ship“, ohne Strom. Nichts geht mehr, kein Autopilot, keine elektronischen Navigationsinstrumente, keine Wetterdaten, kein WC.

Auszeit auf dem Segelboot

In dem Horror-Moment, als wir das realisierten, haben wir unseren ganzen Mut zusammen genommen, nach vorne geblickt und gesagt: „Wir kehren nicht um. Columbus hat das auch geschafft.“ – Wir haben dann zwölf aufreibende Tage lang immer abwechselnd für vier Stunden am Stück am Steuer gestanden. Tag und Nacht. Bei Wind und Wetter. Wer vier Stunden Freiwache hatte, hat geschlafen, um irgendwie die Kräfte zu schonen. Als wir in St. Lucia in der Karibik ankamen, waren wir total erschöpft, einige Kilos leichter und sehr happy, dass wir diesen Husarenritt gemeistert und auch noch die richtige Insel erwischt haben.

Auszeit auf dem Segelboot

Robert: Unter Boatern kursiert die Redewendung, dass die zwei schönsten Tage im Leben eines Bootseigners der Kauf und der Verkauf des Bootes sind. Da ist was dran, aber „schönste Momente“ gab es auf unserer Reise sehr viele. Ich könnte mich gar nicht für einen entscheiden. Ein Highlight war sicherlich New York City. Als wir mit dem eigenen Boot in den New York Harbour einliefen, hatten wir Gänsehaut!

Auszeit auf dem Segelboot

Wir waren schon sehr oft in NYC, aber auf eigenem Kiel dorthin ist etwas sehr Aufregendes. Zudem habe ich dort einen Meilenstein gefeiert, meinen 50sten. Aber generell hatten wir sehr viele schöne Momente, die mit faszinierenden Orten und vor allem auch mit tollen Menschen zu tun hatten.

Ihr kennt euch schon lange – und ich muss sagen, ich kenne kaum ein Paar, das sich gegenseitig mehr begehrt und mehr verehrt als ihr. Belastet das intensive Zusammenleben auf engstem Raum die Partnerschaft nicht doch irgendwie?

Auszeit auf dem Segelboot Auszeit auf dem Segelboot

Kerstin: Danke für das schöne Kompliment! Das 24/7-Zusammenleben auf engstem Raum ist auf jeden Fall ein Stresstest für jede Beziehung. Es muss schon ziemlich grooven, damit eine Beziehung diese Zeit gut übersteht. Und im Idealfall – wie bei uns – sogar noch gestärkt daraus hervorgeht. Das, was wir alles zusammen erlebt, durchstanden und gemeistert haben, hat uns noch mehr zusammengeschmiedet.

Auszeit auf dem Segelboot

Robert: Wir haben auf der Reise oft knifflige Situationen und Probleme erfolgreich gemanagt, weil wir uns so gut ergänzen. Wenn man auf engem Raum, ohne Rückzugsmöglichkeiten, so intensiv zusammenlebt, ist alles sehr viel direkter. Schwelende Konflikte oder Unzufriedenheiten, die halt mal vorkommen können, sollten schnell thematisiert und gelöst werden. Sonst kann selbst eine langjährige Beziehung den Bach runtergehen – was immer wieder vorkommt und was wir leider selbst bei Freunden miterlebt haben.

Und jetzt? Ihr habt eure TRINITY verkauft. Wie schafft man es, Abschied zu nehmen? Was habt ihr vor?

Robert: Das mit dem Abschied war ein Prozess – von der Entscheidung bis zum letztendlichen Verkauf ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Zudem haben wir den Atlantik von den Bahamas nach Europa überquert. Das waren 31 Tage auf See, in denen wir langsam von diesem wunderbar verrückten Leben und von unserer treuen Gefährtin TRINITY Abschied genommen haben.

Auszeit auf dem Segelboot

Kerstin: Es war eine tolle Zeit, eine große Bereicherung für unser Leben, doch jetzt kommt etwas Neues. Wir haben viele Ideen und nehmen uns jetzt erst einmal Zeit, sie zu sondieren und dann die Weichen in eine neue, aufregende Richtung zu stellen. Nach so langer Zeit auf dem Wasser und in der Natur können wir uns nicht vorstellen, einfach so nach Berlin zurückzukehren und das alte Leben wieder aufzunehmen. Uns schwebt eher so etwas wie das Leben auf einer Insel im Süden Europas vor. Und eine berufliche Aufgabe, die es uns erlaubt, unser Leben weiterhin intensiv zu leben. „Carpe Diem“ oder, wie wir es immer auf unserem Blog genannt haben, „Seas the day“!

Auszeit auf dem Segelboot

Tausend Dank, ihr Coolen, für das Beantworten meiner Fragen zu eurer Auszeit auf dem Segelboot.
Für alle, die noch mehr lesen wollen: Lest Kerstins und Roberts Blog
https://trinityberlin.wordpress.com. Durch die Zeitverschiebung hatte ich oft nachts das Vergnügen, von ihren Abenteuern zu erfahren, die mir immer Stoff für meine eigenen Träume gaben. Ahoi!

 

Interview: Sabine Neddermeyer, alle Fotos: Dr. Kerstin Foell, Robert Stolle

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert