Der Held von Kos: Helfen, statt jammern

Der Held von Kos: Helfen, statt jammern

„Es war wie ein Tsunami“, beschreibt eine Anwohner von Kos die Situation im Sommer 2015, als innerhalb weniger Wochen Zehntausende Menschen auf der Flucht am Strand und Hafen der Insel ankamen. Ein paar Dutzend Polizisten völlig unvorbereitet versuchten, dem Ansturm der vielen, verzweifelnden, erschöpften Menschen gerecht zu werden.

Am Anfang gab es nichts

Es gab zunächst weder Übernachtungsplätze, Essensausgaben, geschweige denn medizinische oder auch psychische Betreuung oder Registratur. Bei den heißen Temperaturen schliefen die Menschen auf den Straßen, am Strand oder in schnell organisierten Notunterkünften. Derweilen gingen Medienbilder um die Welt. Verzweifelte Menschen in überfüllten Schlauchbooten, Chaos und Massenaufläufe verängstigten und machten betroffen. Auch viele Einwohner auf Kos, Lesbos und anderen griechischen Inseln gerieten in Anbetracht der Menschen und der Not in Panik, sorgten sich um die eigenen wirtschaftliche Existenz in der angeschlagenen griechischen Wirtschaftslage. Es dauerte Monate, bis Dank der Organisation auf europäischer und nationaler Ebene sowie mit der Hilfe internationaler Organisationen wieder Ordnung und Ruhe am Hafen einkehrte.

Im Sommer 2015 war der Strand überfüllt. Inzwischen ist auf der Insel wieder Ruhe eingekehrt

Ali, der Held von Kos

Dass die große Katastrophe nicht passierte – ist vor allem engagierten Anwohnern vor Ort zu verdanken, die tatkräftig dazu beitrugen, die Menschen zu versorgen und ihnen zu helfen. Einer von ihnen, der in dem großen Chaos klaren Kopf behielt, nicht klagte, sondern anpackte, ist Ali Payanoglou (Jahrgang 1954) – Gastronom und Geschäftsmann.

Der Grieche mit türkischen Wurzeln betreibt in der Hauptstadt Kos zwei Bars und ein Restaurant, direkt vis-à-vis des Hafens, an dem die meisten der Notsuchenden nach Überfahrt über die rund zehn Kilometer lange Meerespassage erschöpft und durchhungert ankamen.

Meine Freundin, die Berliner Künstlerin Valerie Stahl von Stromberg, deren Eltern ein Haus auf Kos besitzen und die viele Jahre schon die Insel bereist, stellte mir den Kontakt zu Ali her, der sein Engagement nicht an die große Glocke hängt. Die Schwestern Valerie und Verena haben gemeinsam mit ihrer Mutter eine Hilfsorganisation ins Leben gerufen, sammeln in Deutschland Geld für die Versorgung der Ankommenden auf Kos und waren selbst wochenlang vor Ort, um bei der Essensausgabe anzupacken, eine bewundernswerte Leistung.

Ali. Der Held von Kos: Helfen, statt jammern.

Ali, Millionen Menschen kamen in den letzten Jahren nach Europa. Es gibt viele, denen das Angst macht. Sie jammern oder protestieren oder schlimmeres. Aber es gibt auch viele, die nicht meckern, sondern anpacken. Du bist einer von ihnen. Wie fing es an?

Es ereignete sich doch vor meinen Augen. Der Hafen von Kos, dort wo die meisten Menschen eintrafen, liegt nur ein paar Meter von meiner Bar entfernt. Da konnte ich nicht tatenlos zusehen. Am Anfang habe ich Wasser verteilt und den offiziellen Helfern unter die Arme gegriffen. Dann stieß ich auf eine Deutsche, Valeries Mutter, die richtig engagiert zugange war. Sie hatte ein System, war energisch, was man sein muss und versorgte die Menschen unglaublich gut und schnell. Ich fragte sie, ob ich helfen könnte. Sie war erst skeptisch, doch als sie erfuhr, dass ich Koch bin, fragte sie, ob ich für die Flüchtlinge kochen könnte. So bauten wir die Hilfe auf. In der Hochphase kamen wir auf 2000 Portionen täglich, fast alles halal. Mein Job war es neben Essen auch Ordnung reinzubringen. Als Chef bin ich das gewohnt – meine Art ist es schon immer, mit Liebe zu führen.

Denn, wenn die Leute dich mögen, dann machen sie das, um was ich sie bitte.

Deine Eltern sind Muslime, stammen ursprünglich aus der Türkei, die nur ein paar Kilometer von Kos entfernt liegt, Du selbst sprichst auch Türkisch. Gab der familiäre Hintergrund den Ausschlag, sich um die Ankommenden, die größtenteils muslimisch sind, anzunehmen?

Ich bin selbst nicht religiös, natürlich glaube ich an einen Gott, aber nicht daran, was irgendjemand sagt. Meine Religion ist mein Herz. Ich war zweimal verheiratet und beides Mal mit Christinnen. Meine erste Frau ist Dänin. Ich habe dort lange gelebt. Schon dort engagierte sich meine Frau für Waisenkinder vor Ort, schon damals habe ich für die Kinder gekocht, wir haben sie gemeinsam umsorgt. Wissen Sie, ich denke sehr international, spreche neben Griechisch sechs weitere Sprachen.

Ich habe nicht diese Grenzen in meinem Kopf.

Für mich sind das alles Menschen und wenn Sie Hilfe benötigen und ich kann etwas abgeben, dann mache ich das. Ich mache das gerne.

Ali 2

Inzwischen sind die Menschen in Hotels oder Flüchtlingsheimen untergebracht. Sie bekommen Verpflegung, Sprachunterricht und medizinische Hilfe. 700 Menschen aus Kriegsländern befinden sich auf Kos. Was ist inzwischen Deine Aufgabe?

Sie bekommen inzwischen regelmäßig zu Essen, aber das Angebot ist sehr einfach. Außerdem fehlt es weiterhin am Nötigsten, wie Schuhe, Windeln, Puder, Kekse für Kinder, Milch und trockenen Früchte für Ramadan oder auch Seife. Durch die Spendengelder aus Deutschland versuche ich dort zu helfen, wo Bedarf besteht. Ich arbeite mit den Hilfsorganisationen zusammen, sie kennen mich, wir sind im regelmäßigen Austausch. Außerdem arbeiten inzwischen schon ein paar Dutzend bei mir als Praktikanten, dafür biete ich ihnen ein besseres Zimmer in meinem Hostel an, zeige ihnen, wie die Gesellschaft funktioniert und helfen ihnen bei der Integration.

Ali, der held von Kos

Gibt es auch Schwierigkeiten? Wie sind die Reaktionen der Anwohner?

Wir kümmern uns nicht nur um Flüchtlinge sondern allgemein um Menschen in Not. Vor meiner Bar weißt eine Tafel darauf hin. Ich führe manchmal Diskussionen, ich bin auf dieser Insel geboren, sie ist meine Heimat, sie bedeutet mir viel. Noch immer zeigen die Medien Bilder von Kos in einem Zustand, der seit vielen Monaten passé ist und machen sich keine Gedanken, was das für Folgen für die Menschen vor Ort hat. Das ärgert mich dann schon.

Ich möchte, dass es uns allen gut geht.

Und dafür brauchen wir Ordnung und Menschlichkeit, nur so können wir miteinander existieren. Ich denke, das haben die meisten Menschen doch verstanden.

Ali, der held von Kos

Danke Ali für das Interview. Für uns bist du der Held von Kos.

Text und Bilder Verena Schulemann

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