besuch in einem Kibbuz

Geplatzt, der Traum vom besseren Leben.

Zu Besuch in einem Kibbuz in Israel. Als Jugendliche wollte ich immer eine Zeit lang in einem Kibbuz arbeiten, habe es aber nie getan, denn es gab damals sehr unterschiedliche Berichte dazu. Die einen erzählten, dass es ganz toll ist, andere sagten, dass sie von morgens bis abends schuften mussten und besonders als Deutsche nicht sehr freundlich behandelt wurden. Ich denke, die Wahrheit lag irgendwo dazwischen. Während meiner Rundreise durch Israel habe ich die Chance ergriffen und Hannah Levi ein paar Fragen zu ihrem Leben im Hagoshrim Kibbuz gestellt. Die sozialistische Idee der Gemeinschaft, und der Idealismus der damaligen Zeit faszinieren mich immer noch.

Hannah, seit wann leben sie in diesem Kibbuz?

Meine Mutter kommt ursprünglich aus Deutschland. Schon vor dem Krieg ist sie nach England ausgewandert, hat dort ein zweites Mal geheiratet und ich wurde 1942 geboren. Meine Mutter ist dann mit mir und meiner Schwester 1947 nach Bolivien ausgewandert, weil die ganze Verwandtschaft aus Deutschland dahin ausgewandert war. Ich habe immer gedacht, dass mein Vater tot wäre. In Bolivien habe ich erfahren, dass er noch lebt und nur von meiner Mutter geschieden war. Meine Mutter hatte nicht viel Geld und ich lebte 7 Jahre im Kinderheim. Jemand hat von Israel erzählt. Da wollte ich hin. Mit 14 verließ ich dann Bolivien und bin 1956 ganz alleine nach Israel gegangen. Ich wollte da leben, wo meine jüdische Kultur meine Religion gefeiert wurde. Sechs Tage und fünf Nächte ging es damals mit dem Zug nach Buenos Aires. Dann nach zwei Monaten auf einem Schiff kam ich in dem Hafen von Haifa an. Ich liebte dieses Land sofort, das Klima, den Himmel, die Berge und den Schnee. Anfangs lebte ich für ein paar Monate in einem Zelt in diesem Kibbuz.

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Wie war das Leben hier am Anfang?

1948 kamen die ersten Leute hier her. Sie waren aus der Türkei. Es waren viele Idealisten, Sozialisten, sie wollten alles zusammen machen, zusammenleben, alle sollten dasselbe haben. Als ich 1956 in den Kibbuz kam, gab es nichts privates. Alles musste so gemacht werden, wie der Kibbuz es sagte. Aber es gab schon früh Probleme, denn jeder bekam das gleiche Geld, egal was und wie lange er gearbeitet hatte. Ich war auch eine Idealistin, aber das hat sich bei mit mit den Kindern geändert. Die Kinder durften nicht bei den Eltern, bleiben. Sie waren separat in einem anderen Haus, dem Kindergarten und ich durfte sie nur von 16.00-19.00 Uhr sehen. Wir Eltern sollten Zeit zum arbeiten haben. Ich habe so darunter gelitten und hätte am liebsten den Kibbuz verlassen. Ich konnte meine Kinder nicht so erziehen wie ich es wollte. Für meinen Mann kam es nicht in Frage zu gehen. Er war einer der Gründer vom Kibbuz und ein absoluter Idealist.

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Wie ging es ihren Kindern mit der Trennung?

Früher war es im Kibbuz sehr fanatisch. Mein Sohn hat seitdem ein Trauma. Er war 4 Jahre alt und wollte nicht im Kindergarten bleiben. Jede Nacht ist er ausgerissen und barfuß durch den Kibbuz am anderen Ende zu uns gelaufen. Ein halbes Jahr lang ist er jede Nacht ausgerissen. Die Gemeinschaft, der Kibbuz hatte gesagt, ich hätte ein psychologisches Problem. Es war aber mein Sohn, er wollte nicht im Kindergarten bleiben. Statt zu sagen, Hannah nimm dein Kind und erziehe es, bis er groß ist, haben sie jede Nacht eine andere Person ausgewählt, die an dem Bett des Jungen gesessen hatte, damit er nicht ausreisen kann. Aber so bald diese Person eingeschlafen war, ist er wieder ausgerissen. Auch das Abendbrot gab es im Kindergarten. Als er alt genug war, hat mein Sohn den Kibbuz verlassen und geschworen, er würde nie zurückgehen.

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Hat sich seitdem etwas verändert?

Das Wir-Gefühl ist weg und im Jahr 2000 kam der große Wandel. Aus Idealisten wurden Kapitalisten. Die jungen Leute haben festgestellt, dass sie außerhalb des Kibbuz bis zu drei Mal mehr Geld verdienen können. Sie wollten daher nicht mehr hier bleiben, sie wollten mehr Geld verdienen und sie wollten frei sein. Viele haben den Kibbuz verlassen. Die Schule ist auch nicht mehr im Kibbuz und es gibt viel weniger Kinder als früher. Wenn wir die Regeln nicht geändert hätten, dann wären heute nur noch alte Menschen hier. Wir haben auch dieses Hotel gebaut und ein Teil der jungen Leute kam sogar wieder zurück. Heute leben 525 Leute im Kibbuz, davon sind 225 Mitglieder. Die Mitglieder haben Mitbestimmungsrecht, was im Kibbuz gemacht werden soll. Und Heute sind die Mitglieder Kapitalisten! Die Anteile werden vererbt, auch wenn die Erben nicht hier leben.

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Vielen Dank Hannah für das Gespräch.

Hannah nickt und lehnt sich nach dieser bewegenden Geschichte lächend zurück. Obwohl ihr Lebenstraum in gewisser Weise geplatzt ist, habe ich den Eindruck, dass sie ihre Lebensfreude nicht verloren hat. Bewundernswert.

Im Moment gibt es in Israel noch ca. 272 dieser Kibbuzim. Die Idee des Kibbuz – als einer genossenschaftlichen Siedlung gleichberechtigter Mitglieder, in der es kein Privateigentum gibt und in der viele Einrichtungen des täglichen Lebens kollektiv organisiert sind – lässt sich mit dem Sozialismus im ursprünglichen Sinn in Verbindung bringen. Unterschieden wird in säkulare Kibbuzim, die die jüdischen religiösen Traditionen nicht mehr als verbindlich betrachten und religiöse Kibbuzim, die in verschiedenen Richtungen die religiösen Traditionen pflegen und für ihre Mitglieder als verbindlich betrachten.

Text und Fotos: Britta Smyrak

Auf diesen Roadtrip durch Israel und zum Besuch in einem Kibbuz wurde ich vom Staatlichen Israelischen Verkehrsbüro eingeladen.

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