Erkunde Berlin zu Fuß. Bei diesem Mauerspaziergang auf dem ehemaligen Grenzstreifen entlang der Mauer kannst du die deutsch-deutsche Geschichte hautnah erleben. Viele Fotos und Schautafeln liefern spannende Eindrücke.
1961, die Abriegelung über Nacht.
Ich starte meinen Mauerspaziergang an der Ecke Bernauer Straße und Schwedter Straße. Wie wir alle wissen, wurde Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten Frankreich, England, USA und der Sowjetunion in vier Zonen geteilt.
Den Bewohnern der Stadt war es anfangs allerdings erlaubt die Zonengrenzen zu passieren. So herrschte ein reger Pendelverkehr zwischen dem Wohnort und der Arbeitsstätte oder zwischen den Wohnungen der verschiedenen Familienmitglieder.
Im Rest der Republik flohen aber immer mehr Menschen in den Westen und das Misstrauen unter den Siegermächten stieg.
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Walter Ulbricht.
Die Abriegelung traf die Berliner völlig unerwartet. Wer gestern im Osten übernachtet hatte, konnte am nächsten Morgen nicht mehr zur Arbeit in den Westen, Kinder nicht mehr zu den Großeltern.
In den ersten Wochen nach dem Mauerbau waren westliche Einsatzkräfte an der Mauer ununterbrochen im Einsatz und versuchten Fluchten abzusichern und verletzte Flüchtlinge aus der Gefahrenzone zu holen. Hin und wieder kam es dabei zu regelrechten Tränengasduellen und gelegentlich gab es auch Schusswechsel mit den DDR-Grenzposten.
Allerdings gab es zwei Regeln zu beachten. Die Flüchtenden mussten es bis auf West-Berliner Gebiet schaffen und die West-Berliner Polizei durfte erst schießen, wenn zuvor Schüsse aus Ost-Berlin auf Westgebiet abgegeben wurden.
An der Grenze entwickelte sich ein gefährliches Katz und Maus Spiel. Besonders hier, in der der Bernauer Straße waren Feuerwehrleute mit Sprungtüchern im Einsatz, um aus Fenstern oder von den Dächern der Grenzhäuser springende Flüchtlinge aufzufangen. Dabei musste der Einsatz möglichst unauffällig erfolgen, um die Grenzposten nicht auf den Fluchtversuch aufmerksam zu machen.
Die Mauer an der Schwedter Straße
Bereits 1961 wurde die Mauer an der Ecke Bernauer Straße und Schwedter Straße mit Stahligeln gegen Fluchtfahrzeuge verstärkt. Der höher gelegene Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark bot die Möglichkeit, auf den Grenzstreifen zu blicken und so leichter eine Flucht vorzubereiten, daher häuften sich hier Fluchtversuche.
Auf der Westseite der Mauer wurde 1964 ein erhöhtes Podest gebaut. Besucher konnten so einen Überblick über den Grenzstreifen sowie einen Einblick nach Ost-Berlin gewinnen. Jährlich kamen mehrere Zehntausend Neugierige, um sich vor Ort einen Eindruck von der Mauer zu verschaffen.
So ein Podest gab es auch am Potsdamer Platz. Ich bin in den späten 80ern öfter dort gewesen. Ich habe den Grenzsoldaten zugewunken, die mich misstrauisch mit dem Fernglas beobachtet haben.
Zeitzeugen berichten
Für diese Tour durch Berlin zu Fuß Richtung Nordbahnhof brauchst du Zeit. Immer wieder komme ich an Säulen vorbei und kann Zeitzeugen zuhören und den Ort auf mich wirken lassen.
Mir persönlich ist zu viel von der Mauer in Berlin verschwunden. Ich kann den ersten Impuls, sie nach der Wende abzureißen verstehen, aber jetzt Häuser auf den einstigen Todesstreifen zu bauen, ist, als ob nie etwas gewesen wäre.
Fluchtversuche und Fluchttunnel
An der Kreuzung Bernauer Straße und Brunnenstraße beginnt eine große Rasenfläche. Der Boden unter der Berliner Mauer glich mancherorts einem Schweizer Käse. Allein an der Bernauer Straße gab es mindestens 10 Fluchttunnel, aber nur drei davon waren erfolgreich.
Eine Tunnelflucht wurde auch medial begleitet. Im Sommer 1962 gruben West-Berliner-Studenten monatelang einen etwa 126 Meter langen Tunnel aus dem Keller einer Fabrik in der Bernauer Straße 78. Sie wollten Verwandten und Freunden aus der DDR die Flucht ermöglichen. Wassereinbrüche erschwerten die Grabungen und brachten das Unternehmen fast zum Scheitern. Die Tunnelbauer mussten den Tunnel verkürzen und den Einstieg in den Keller des grenznahen Hauses Schönholzer Straße 7 verlegen.
Am 14. September 1962 eröffneten sie dort den Tunnel. In zwei Nächten krochen 29 Flüchtlinge durch den Schlamm und das einsickernde Wasser nach West-Berlin. Im Westen wartete ein Filmteam des US-Senders NBC auf sie und der „Tunnel 29“ wurde weltberühmt.
Mehr zur Geschichte der Fluchttunnel erfährst du bei einer Führung vom Verein Berliner Unterwelten e. V.. Ich habe im Sommer die Führung „Unterirdisch in die Freiheit“ gemacht und kann das nur empfehlen.
Nur wenige Fluchttunnel wurden von Ost- nach West-Berlin gegraben.
Im Mai 1963 eröffneten DDR-Grenzsoldaten einen solchen Tunnel im Hof des Hauses Kremmener Straße 3. Eine Gruppe Ost-Berliner hatte im Keller einer stillgelegten Bäckerei in der Kremmener Straße 15 mit dem Tunnelbau begonnen. Als der Sauerstoff knapp wurde, gruben sie einen kleinen Luftschacht zur Erdoberfläche. Eine Anwohnerin entdecke dieses Loch und meldete es den Grenzsoldaten. Den Tunnelbauern fehlten nur noch 25 Meter bis in die Bernauer Straße. 19 Personen wurden festgenommen und zu hohen Haftstraßen verurteilt.
Einer der berühmtesten Flüchtlinge war sicher der Grenzpolizist Conrad Schumann. In einem unbeobachteten Moment sprang er in voller Montur an der Bernauer Straße über den Stacheldrahtzaun in den Westen.
Die Mauer und der Grenzstreifen
Mit der Schließung der Grenzen am 13. August 1961 hoffte die DDR Führung, die Fluchtbewegung aus der DDR zu stoppen und nachdem deutlich wurde, dass die Westmächte die Grenzschließung nicht verhinderten, wurden die Grenzsperren verstärkt.
An die Stelle von Stacheldraht traten schon am 15. August die ersten Mauern. Im September des gleichen Jahres kamen in den Straßen auf Ostseite weitere Sperren hinter der Mauer hinzu, um die Flucht mit einem Fahrzeug zu verhindern. Im Oktober wurden die ersten Sichtblenden errichtet, um Kontakte durch Winken zwischen Ost und West zu unterbinden.
Doch die Menschen wollten sich nicht aufhalten lassen und die DDR reagierte mit einem einheitlich angelegten aufwendigen Grenzstreifen. Der Aus- und Umbau sollte bis zum Mauerfall nie enden.
Die Grenzhäuser
Vor dem Mauerbau genossen die Bewohner der sogenannten Grenzhäuser auf der Sektorengrenze gewisse Privilegien. Der Vordereingang ging zum Westen und der Hintereingang nach Osten.
Mit der Grenzschließung war es mit dieser Freiheit vorbei. Die Mauer trennte die Bewohner der Ostseite der Bernauer Straße von den Bewohnern der Westseite.
Bleiben oder gehen. Viele entschlossen sich spontan zur Flucht, solange es noch ging, denn schnell wurden Fenster und Türen zugemauert und die Bewohner zwangsumgesiedelt.
Zahlreiche Menschen versuchten, durch die Grenzhäuser zu fliehen. Sie ließen sich an Seilen hinabgleiten, sprangen in Sprungtücher der West-Berliner Feuerwehr und als alle Türen und Fenster zugemauert waren, sprangen die letzten Wagemutigen sogar von den Dächern.
Insgesamt gelang noch 113 Menschen von August bis Oktober die Flucht, 4 starben dabei.
Am Ende standen leere Häuser auf dem Grenzstreifen, die nach und nach abgerissen wurden. Dieses Schicksal ereilte auch die Versöhnungskirche, die erst 1985 gesprengt wurde.
Bei der Sprengung brach das Kreuz von der Turmspitze ab. Friedhofsmitarbeiter bargen es heimlich und versteckten es. Erst am Buß- und Bettag 1995 kam es wieder zur Kirchengemeinde zurück.
Heute steht eine moderne Kirche auf dem Grenzstreifen.
Die Mauer fällt
Seit den Siebzigerjahren stieg die Unzufriedenheit in der Bevölkerung der DDR drastisch an. Mitte der Achtzigerjahre entstand eine schnell stärker werdende Oppositionsbewegung. Angesichts wachsender Proteste, wie den bekannten Montagsdemonstrationen, aus denen eine breite Volksbewegung entstand, kapitulierte der SED Staat schließlich.
Am Abend des 9. November 1989 verkündete die DDR-Regierung neue Reiseregelung. Spontan drängten Tausende Ost-Berliner an die Grenzübergänge und erzwangen so die Öffnung der Mauer. Noch in dieser Nacht nutzten Tausende die Möglichkeit, sich frei im Westteil der Stadt zu bewegen.
Ich stand auf der Mauer am Brandenburger Tor
Ich habe an dem Abend von alldem nichts mitbekommen, denn in dem Haus in Moabit, in dem ich damals übernachtet habe, war mal wieder der Strom ausgefallen. Erst am nächsten Morgen kam uns der Hauswart aufgeregt entgegen und wedelte mit der BZ vor unserer Nase: Die Mauer ist auf.
Ich fuhr, so schnell ich konnte, zum Brandenburger Tor. Hier standen die Menschen auf der Mauer und haben gefeiert. Natürlich bin ich selber auch hinaufgeklettert. Die Grenzsoldaten auf der Ostseite waren verunsichert. Immer wieder sprangen Leute aus Spaß auf Ost-Berliner Gebiet und wurden abgeführt. Ich hoffte nur, dass die Grenzsoldaten die Nerven behielten.
Vom Brandenburger Tor fuhr ich zum Grenzübergang Friedrichstraße. Hier herrschte eine ausgelassene Stimmung. Sektkorken flogen durch die Luft und eine nichtendenwollende Schlange von Trabis rollte gen Westen. Wildfremde Menschen lagen sich vor Freude in den Armen, es war einfach großartig.
Bald schon mussten zusätzliche Grenzübergänge geschaffen werden, um den Ansturm bewältigen zu können. An der Eberswalder Straße waren im November noch Bagger und anderes schweres Gerät im Einsatz, um die Mauer wie ursprünglich geplant zu versetzen. In der Nacht vom 10. auf den 11. November nutzen Grenzsoldaten diese Maschinen, um hier das erste Loch in die Mauer zu brechen. Es entstand der erste freie Grenzübergang.
Am 9. November 1989 fiel die Mauer und im März 1990 fanden die ersten freien Wahlen in der DDR statt, die gleichzeitig ihren Untergang einläuteten.
Berlin zu Fuß und zu den Opfern der Mauer
Im unteren Stück des Mauerspazierganges ist ein Stück originaler Grenzstreifen mit Wachturm erhalten geblieben. Dieser Ort macht die Unüberwindbarkeit der Mauer und der Grenze deutlich.
Im weiteren Verlauf meiner kleinen Berlin Stadttour zu Fuß entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze ersetzen Eisenstangen symbolisch die Mauer.
Schon seit 1961 errichtete West-Berliner Bürger Mahnmale für die Todesopfer an der Mauer und seit den Siebzigerjahren wurden überall dort weiße Kreuze aufgestellt, wo Menschen an der Mauer starben.
In der Bernauer Straße befanden sich die Erinnerungskreuze zunächst an den Grenzhäusern, vor denen Flüchtende gestorben waren. Als 1980 die SED die Reste der Grenzhäuser abreißen ließ und eine neue Grenzmauer baute, wurden die weißen Kreuze aus der Bernauer Straße neben dem Besucherpodest zusammengeführt. Auch hinter dem Reichstag gab es weiße Kreuze und ich erinnere mich an Kreuze an der Spree in Kreuzberg.
Immer wieder sind Markierungen in den Boden eingelassen und erinnern an die Opfer.
Es starben Kinder, Männer, Frauen.
Mein Mauerspaziergang endet am Nordbahnhof. Auf der großen Wiese davor steht eine Gedenkstätte. Eine ganze Wand mit den Fotos der Opfer. Die Geschichten dazu sind grausam und traurig. Es starben Kinder, Männer, Frauen.
Der Spaziergang hat mich sehr berührt und ich finde es unglaublich wichtig diese, unsere Geschichte nicht zu vergessen. Und es macht Mut, denn wir haben es geschafft, wieder ein Land zu werden und das ist ein unglaubliches Glück.
Gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich auch das Besucherzentrum der Gedenkstätte Berliner Mauer. der Eintritt ist frei.
Berlin zu Fuß erkunden, noch 2 Tipps:
Text und Fotos Britta Smyrak