„Be one with nature“. Begegnung mit Fire, einem Rastaman auf Jamaika

Fitre ein Rastamann auf Jamaika

Vor mir steht Fire, ein echter Rastaman auf Jamaika. Wer bei diesem Namen an einen großen, durchtrainierten Jamaikaner denkt, den muss ich enttäuschen. Fire ist klein, schmächtig, mit Fusselbart und trägt eine bunte gehäkelte Mütze, unter der er seine Rastazöpfe versteckt. Seinen Namen hat er sich auch nicht als heißblütiger Liebhaber verdient, sondern weil er als kleiner Junge die Feuerwehrmänner bewundert hat. Am Anfang hieß er noch Fireman, später wurde einfach Fire daraus. Der Name gefällt ihm.

Einladung zum Essen auf dem Berg

Fire, mein Rastaman auf Jamaika holt mich pünktlich vor dem Zimbali Retreats ab, denn wir sind zum Essen in seiner Hütte auf dem Berg verabredet. Er marschiert los und legt ein gutes Tempo vor. Fire sieht vielleicht nicht muskulös aus, er ist aber extrem fit.

Er führt mich durch eine Wiese, vorbei an Zuckerrohr und Bananenstauden und durch einen kleinen Bach hinein in den Wald. Nach dem Bach lasse ich die Schuhe aus und schlingere Barfuß auf dem rutschigen und schlammigen Weg immer weiter Fire hinterher, der vor mir wie eine Bergziege voran hüpft.

Unterwegs mit Fire Fire, einem Rastaman auf Jamaika

Unterwegs zeigt er immer wieder auf Pflanzen, Bäume, Blüten und Früchte, nennt Namen, erklärt die Wirkung von diesem und den Nutzen von jenem. Ich versuche, mir alles zu merken, keine Chance. Der Wald verwandelt sich vor meinen Augen in eine Apotheke, die Wiese wird zum Kräutergarten.

Natur auf Jamaika Baumrinde Jamaika Stachelannone auf Jamaika

Fire ist ein wandelndes Lexikon und jeder Botaniker hätte seine Freude an ihm. So ganz nebenbei sammelt er unterwegs unser Essen ein: Mangos, Kokosnüsse, Kochbananen, pflückt Kräuter.

Nach einer halben Stunde bergauf sind wir angekommen. Ich stehe vor seiner Hütte und werde begrüßt von zwei Katzen und einem jungen Hund. So ganz alleine lebt mein Rastaman auf Jamaika also doch nicht.

Junger Hund auf Jamaika

Ein Rastaman auf Jamaika

Fire zahlt keine Miete, der Grund und Boden auf dem seine Hütte steht, gehört ihm nicht. Er hat keine Krankenversicherung und alles, was er besitzt, befindet sich hier oben in dieser Hütte. Bis vor kurzem hatte er noch ein Moped, aber als das den Geist aufgab, ließ er es einfach stehen. Seitdem läuft er. Es fehlt ihm nicht. Ein kurzer Blick in die Hütte zeigt, Fire ist nicht reich, zumindest nicht im materiellen Sinn, aber arm fühlt er sich auch nicht. Im Gegenteil, mit ausholender Geste zeigt er mir sein Reich, schwärmt von seiner Aussicht über die Berge, der Natur um ihn herum und den sternenklaren Nächten.

Geboren wurde Fire in Little London, einer kleinen Stadt ca. 20 Kilometer von hier. Er hat Geschwister, Kinder. Ob er sich einsam fühlt will ich wissen. „No man“ Er ist zwar oft alleine, aber nicht einsam. Ab und zu bekommt er Besuch. Auch Touristen wie ich kommen regelmäßig vorbei und wer möchte, der kann hier oben mit ihm ein paar Tage oder Wochen verbringen. Platz ist genug sagt Fire und lächelt.

Neulich war eine ältere Dame aus Frankreich für mehrere Wochen sein Gast. Über mangelnde Gesellschaft kann er sich also nicht beklagen. Fire ist 56 Jahre alt und erzählt stolz, dass er seit 20 Jahren nicht mehr beim Arzt war. Er fühlt sich kerngesund. Letzteres möchte ich gerne glauben. Während ich die unglaubliche Aussicht genieße und mich mit dem Hund anfreunde, beginnt Fire mit den Vorbereitungen für das Essen.

Er leert seinen Rucksack, stellt einen Topf mit Wasser auf den Grillrost über die offene Flamme, putzt das Gemüse und schnippelt es klein. Danach reibt er das Fleisch einer frischen Kokosnuss klein und ein paar Raspell fallen sehr zur Freude der Katzen auf den Boden.

Eins sein mit der Natur

Ich möchte mehr über Fire und sein Leben erfahren, möchte wissen seit wann und warum er so zurückgezogen lebt. Er überlegt kurz und erzählt, dass er seit ungefähr 30 Jahren auf dem Berg lebt. Schuld daran ist ein Buch mit dem Titel „Survival into the 21st Century: Planetary Healers Manual.“ Wie es in seine Hände geriet, weiß er nicht mehr. Bücher kommen zu ihm, er hat sich noch nie eins gekauft. Dieses Buch allerdings hat ihm die Augen geöffnet.

Nachdem er es gelesen hat, steht seine Entscheidung fest: Er möchte nicht mehr in der Stadt leben. Er will nicht mehr abhängig sein von irgendwelchen Nahrungsmittelkonzernen, kein „sick food“ mehr essen. Damit vertritt er die gleiche Meinung wie Yahia El mit seinem Restaurant Fancy Fruits in Mandeville.

Fire fragt sich: Was bist du für ein Mensch, wenn du nicht mal für dein eigenes Essen sorgen kannst? Was hast du, wenn du dich nicht um deinen Körper kümmerst? Und seine Antwort lautet: „Back to Nature“. Fire möchte leben wie seine Vorfahren, zusehen, wie alles wächst und gedeiht, die ganze Entwicklung erleben, „be one with nature“, eins sein mit der Natur.

Das Essen ist fertig. Ich probiere und bin sprachlos. Es ist unglaublich gut! Im Nachhinein würde ich sogar sagen, es ist das beste Essen, das ich auf Jamaika gegessen habe. Es schmeckt sehr fein, sehr aromatisch, ist gut gewürzt, genau mit der richtigen Schärfe und das, obwohl Fire weder Pfeffer noch Salz verwendet hat. Ob ich ihn für verrückt halte? Möchte er wissen. Und noch bevor ich antworte, fügt er hinzu, dass er hier für die nächsten 100 Jahre bleiben wird. „I am not ready for going back! Maybe in 20 years.“ Fire lacht.

Wie sein Tag aussieht, frage ich. Der Kalender in seiner Hütte hat keinen Eintrag. Er arbeitet jeden Tag auf seinem kleinen Acker, geht 3-4 Mal runter ins Dorf und baut an einer zweiten Hütte mit noch besserer Aussicht. Er möchte im Einklang mit der Natur leben, einfach ganz für sich.

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Die Konsequenz, mit der Fire sein Leben lebt, hat mich sehr beeindruckt und seine Bescheidenheit tief berührt. Er hat sich bewusst für seinen Lebensstil entschieden und ist damit unabhängiger und freier als ich es in meinem Wohlstand wahrscheinlich je sein werde. Fire verzichtet auf vieles, aber fehlen tut ihm nichts: „I have all I need.“ In Gedanken laufe ich hinter ihm den Berg wieder hinunter. Wind ist aufgekommen, am Himmel türmen sich die Wolkenberge auf. Fire stört das nicht.

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Text und Fotos Britta Smyrak

Danke Fire für deine Zeit. Die Welt braucht mehr Menschen wie Fire, den Rastaman auf Jamaika.

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